Orientierungslosigkeit: Das eigentliche Problem der SPÖ

Bei der Nationalratswahl 2019 fuhr die SPÖ ihr miserabelstes Ergebnis ein. Woran lag es? Lag es an der schwachen Kampagne von Wahlkampfmanager Christian Deutsch? Lag es an den Quertreibern aus den Landesparteien? Lag es am Faymann-Netzwerk, das sich zurück an die Macht kämpfen will? Oder trauten viele Wählerinnen und Wähler Pamela Rendi-Wagner die Kanzlerschaft nicht zu? Alle Faktoren trugen zum aktuellen Ergebnis bei, aber das wahre Problem liegt an der Orientierungslosigkeit. Was kann man dagegen tun?

Anfang der 1990er hörte die SPÖ auf zu regieren und begann zu verwalten. Nach 13 Jahren Alleinregierung glaubte sie alles erreicht zu haben und niemand könne das mehr wegnehmen. Zeitgleich brachen die kommunistischen Regime Osteuropas zusammen und brachten die sozialistische Vision in Verruf, obwohl deren System nichts damit zu tun hatte.1)

 

Was folgte? Orientierungslosigkeit!

Die SPÖ rückte von der Vollbeschäftigungspolitik ab und trug die Sparpolitik mit. Die SPÖ verteidigte zwar Arbeitnehmerrechte und -institutionen, aber baute sie nicht weiter aus. Die SPÖ schaffte es nicht prekäre Beschäftigung und All-In-Verträge zu verhindern. Die SPÖ konnte die Gewerkschaften nicht stärken und das führte zu stagnierenden Löhnen. Und am schlimmsten: Die SPÖ stellte das Wirtschaftssystem nicht mehr in Frage. Versteht mich nicht falsch: Eine Rückkehr zu einer politischen Vision der 1970er wünscht sich keiner.

 

Was nun?

Karl Marx lieferte mit "Das Kapital" die Kritik am Industriekapitalismus und daraus entwickelte sich die sozialistische Vision. Heute herrscht der neoliberalen Finanzkapitalismus vor und den kritisiert Karl Polanyi in "The Great Transformation". Aus seiner Kritik lässt sich eine demokratische Vision entwickeln.

 

Was vertritt Karl Polanyi?

In seinem Werk „The Great Transformation“ zeigt er auf, wie der selbstregulierende Markt die Gesellschaft zersetzt und die Natur zerstört indem er Arbeit, Natur und Geld wie Waren behandelt. Eine polanyistische Kritik sieht so aus: Überlange Arbeitszeiten sind für den Markt wünschenswert, doch die betroffenen Menschen werden vom Vereins-, Freundes- und Familienleben ausgeschlossen, es erhöht deren Verletzungsgefahr und es verursacht Krankheiten. Trifft das viele Menschen, dann gefährdet das die Gesellschaft als Ganzes. Analog gilt das auch für die beiden anderen Faktoren und daher nennt Polanyi sie ‚fiktive Waren‘. Die fiktiven Waren müssen vor dem selbstregulierenden Markt geschützt werden und zwar durch demokratische Kontrolle. Eine demokratische Vision ist der Gegenentwurf zum selbstregulierenden Markt.

 

Wie sieht eine demokratische Vision aus?

Die Demokratie als die Herrschaft Aller erschafft, sichert und vermehrt das Wohl Aller. Demokratie und Gemeinwohl sind untrennbar miteinander verbunden. Aus diesem Grund ist die Hauptaufgabe der modernen Sozialdemokratie die Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche. Die Eliten werden sich mit aller Kraft dagegen wehren, um ihre Privilegien und ihre Stellung zu behaupten. Besonders gegen die Demokratisierung der Wirtschaft werden sie sich mit Zähnen und Klauen wehren – ist es doch die Quelle ihres Wohlstands und ihrer Macht. Eine Sozialdemokratie muss diese selbstsüchtigen Ziele enthüllen und mithilfe der Vielen diesen Wiederstand brechen, um eine bessere Welt zu schaffen.

Hier eine aussagekräftige Dokumentation von ARTE über Karl Polanyi und The Great Transforamtion:

Fußnote:

1) Bei den kommunistischen Regimen in Osteuropa handelte es sich um totalitäre Einparteiendiktaturen mit einer zentralen Verwlatungswirtschaft in einem Staatskapitalismus. Die Regime verkauften sich nur erfolgreich als sozialistisch. Der Historiker Moishe Postone von der Universität führte das in einem Interview zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution aus. Der Titel "Das war kein Sozialismsus" bringt es auf den Punkt. Was ist dann Sozialismus? Ein Artikel der Zeit aus dem Jahre 1972 liefert da einen guten Einblick.

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