Sind populistische Wähler bedenklich für die Demokratie? Ja, meint Jakob-Moritz Eberl und führt eine Studie an, welche eine demokratie-gefährdende radikale Einstellung bei den populistischen Wählern sieht. Eine gewagte These, denn sind Volkssouveränität, Anti-Elitismus, Emotionalisierung und Skeptizismus wirklich radikal, oder einfach nur unbequem? Vor allem fehlte mir die Frage nach dem Warum? Warum vertreten diese Menschen vermeintlich radikale Ansichten? Welchen Anteil hat die jahrelange (neo)liberale Politik daran? Wird sie die Geister, die sie rief nicht mehr los? Eine Entgegnung.
Kompromisslos populistisch
Alle sorgen sich wegen der Rechtspopulisten. Genauso gefährlich ist der populistische Wähler, wie eine neue Studie zeigt
ANALYSE: JAKOB-MORITZ EBERL
Im Jahr der Europawahlen dominieren die Salvinis, Le Pens, Orbans und Kickls die internationale Presse. Die "Sorge vor dem Abrutschen Europas wächst", titelt die Welt. Dabei gilt diese Sorge populistischen Politikern und Parteien, vor allem rechtspopulistischen. Was ist aber mit den populistischen Wählern an sich - ungeachtet ob links oder rechts? Sind sie möglicherweise die eigentliche Gefahr für die liberale Ordnung in Österreich und Europa?
Eine neue Studie, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin Carolina Plescia erarbeitet habe, legt diesen Schluss nahe. Sie zeigt auf, wie weit in die gesellschaftliche Mitte populistisches Denken mittlerweile reicht und dass wir nicht ausschließlich auf die Gefahr des Rechtspopulismus fokussieren sollten. Wir haben im Rahmen des AUTNES-Forschungsprojekts 2000 Befragte vor und nach der Nationalratswahl 2017 auf ihre populistischen Einstellungen geprüft. Den populistischen Wähler erkennt man unter anderem daran, dass er für Volkssouveränität, für einen vehementen Anti-Elitismus und eine strenge Trennung zwischen "Gut" und "Böse" eintritt. Darauf aufbauend misstraut er zentralen Institutionen der liberalen Demokratie (Medien, Rechtsstaat usw.).
Warum tut er das? Liberale Demokratien sind pluralistisch. Sie beziehen Minderheiten und Interessengruppen in politische Entscheidungen ein. Für einen populistischen Wähler gibt es aber nur den moralisch reinen Willen des Volkes auf der einen Seite und den korrupten Weg der politischen Elite auf der anderen. Ihm fehlt der Sinn für den Spielraum dazwischen.
Eine solche Kompromissbereitschaft ist in Mehrparteiensystemen wie dem österreichischen aber von zentraler demokratischer Bedeutung, unter anderem für Regierungsbildungen. In drei Viertel der parlamentarischen Demokratien in Europa stellt die stimmenstärkste Partei den Premier. Es handelt sich um eine politische Norm, die dem Verlierer und dessen Wählern einiges an Kompromissbereitschaft abverlangt. Nicht nur akzeptiert man die eigene Wahlniederlage, sondern auch eine Partei, deren Ziele im schlimmsten Fall den eigenen diametral entgegenstehen. Für populistische Wähler ist das Verrat am vermeintlichen "Volkswillen".
Genau diese Haltungen finden wir auch in unseren Daten. Obwohl viele Befragte nach der Wahl akzeptieren, dass eine andere Partei die meisten Stimmen bekommen hat, würden 18 Prozent -darunter eher jene mit ausgeprägteren populistischen Einstellungen -diese Partei nicht mit der Regierungsbildung beauftragen. Außerdem würden 26 Prozent der Befragten gerne dezidiert zwei oder mehr Parteien aus den Koalitionsverhandlungen ausschließen. Auch hier zeigen unsere Analysen: Je populistischer die Wähler sind, umso restriktiver sind sie in diesem Punkt. Diese Effekte finden sich unabhängig von den ideologischen Präferenzen, was zeigt, dass Populismus mittlerweile über parteipolitische Grenzen hinweg von Relevanz ist.
Was nun? Kompromisse sind Eckpfeiler liberaler und pluralistischer Demokratien. Der populistische Wähler stellt sie und die Legitimität demokratisch gestützter Koalitionsregierungen infrage. Immerhin: Politisches Wissen -so zeigen es unsere Daten - sorgt dafür, dass Wähler die demokratischen Normen kennen, diese respektieren und sich auf politische Kompromisse einlassen. Verantwortungsvolle Parteien haben also die Aufgabe, Politik in ihrer Komplexität zu vermitteln. Man kann populistischen Parteien schwer vorschreiben, weniger populistisch zu sein. Mainstream-Parteien aber sehr wohl. Sie seien gewarnt: Blind populistische Kommunikationsstrategien zu übernehmen bestätigt nur jene Wähler, die die Legitimität politischer Kompromisskultur in Frage stellen. Davon haben am Ende nur jene etwas, deren Ziel der Niedergang der liberalen Demokratie ist.
Aus Falter 05/19
Post an den Falter
Im letzten Absatz bezeichnet Eberl den Populismus als das, was er ist - eine Kommunikationsstrategie. Bis zu diesem Punkt bekam man den Eindruck, dass er den Begriff Populismus als Synonym für "extrem" verwendet. Die ökonomische Grundlage des Populismus analysiert Philip Manow in seinem Werk pointiert. Diese wirtschaftliche Situation fiel jedoch nicht vom Himmel. Die kulturelle Hegemonie des (Neo-)Liberalismus und die dazugehörige Politik hat dem Populismus erst den Boden bereitet! Jeder andere Politikansatz wurde von den (neo-)liberalen Eliten - egal welcher Couleur - abgelehnt und der eigene Ansatz als "alternativlos" verteidigt.
Zudem verlangte die (neo-)liberale Elite von den einfachen Leuten, den Gürtel enger zu schnallen, Abstriche in Kauf zu nehmen und Unsicherheiten zu akzeptieren, um die sogenannte "Wettbewerbsfähigkeit" zu erhalten. Unter diesen Umständen braucht man sich nicht wundern, wenn diese Leute radikalere Ansichten vertreten. Diese Ursachen für den Populismus kehren die (Neo-)Liberalen gerne unter den Teppich. Beenden die (Neo-)Liberalen ihre "Alternativlosigkeit"-Einstellung, gräbt das dem Populismus das Wasser ab. Beenden die Regierenden auch die elitäre neoliberale Wirtschaftspolitik, dann stirbt der Populismus innerhalb kurzer Zeit aus. Beides wird nicht passieren, denn die Eliten profitieren von der aktuellen Situation.
Ein Dilemma.
Aus Falter 06/19
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